Scheitelpunkt Scharmützelsee - Berliner Ansichten - Teil 2
Mitten durchs Regierungsviertel
Die Spree schlängelt sich am beflaggten Reichstagsgebäude entlang
Der
zweite Tag: Morgens werden wir von einem stahlblauen Himmel und
wärmenden Sonnenstrahlen überrascht. Nach dem Ablegen vergehen keine
zehn Minuten, und schon hat unsere perfekt zu dirigierende
Gruno
ein weltbekanntes Bauwerk vor dem Bug - die Glienicker Brücke, auf der
die beiden Machtblöcke zu Zeiten des Kalten Krieges ihre Agenten und
Spione austauschten. Am Westufer der Havel erblicken wir als
unübersehbare Landmarke die Heilandskirche Sacrow, die anno 1844 im
italienischen Rundbogenstil mit freistehendem Glockenturm errichtet
wurde. Im Bereich des Kladower Sees ist die von tückischen Untiefen
umgebene Pfaueninsel dominant, an deren Südspitze das ehemalige
Lustschloss Friedrich Wilhelms II. steht. Heute wird es als Museum der
Potsdamer und Berliner Handwerkskunst genutzt. Viele Fahrwassertonnen
markieren den weiteren Streckenverlauf, der uns am Grunewald entlang in
nördlicher Richtung allmählich nach Spandau führt. Wer jetzt nach
einem gepflegten Mittagstisch Ausschau hält, dem sei die Gaststätte in
der Marina Scharfe Lanke empfohlen. Wir lassen die von weitem
erkennbare Anlage diesmal an Backbord liegen und suchen die etwas
versteckte Einfahrt zum Picheissee. Die urplötzlich sehr schmal
gewordene Havel fließt durch Picheisdorf und Wilhelmstadt, bevor sie
einen Bogen schlägt und bei Charlottenburg in die Spree einmündet. Das
ist sie also schon, die legendäre „Berliner Luft", die allerdings
während der nun vor uns liegenden Flusskilometer recht unappetitlich
riecht, weil es an Industrieanlagen mit qualmenden Schornsteinen und
einem Klärwerk vorbei geht. Nach drei ziemlich eintönigen Meilen müssen
wir vor der Schleuse Charlottenburg gemeinsam mit mehreren
Sportbootskippern aufstoppen und einem entgegenkommenden
Schleppverband den Vortritt lassen.
Der an Steuerbord abzweigende Landwehrkanal ist gesperrt, so dass
es noch 2,5 Kilometer weitergeht, bis wir in den Charlottenburger
Verbindungskanal einbiegen und erneut auf der Spree landen. Die
Wasserstraße windet sich hier wie eine Schlange und führt an
hypermodernen gläsernen Bürofassaden entlang. Einen bemerkenswerten
architektonischen Kontrast bilden die wunderschönen nostalgischen
Rundbogenbrücken unweit vom Schloss Bellevue, dem von Videokameras
überwachten Amtssitz des Bundespräsidenten. Kurz darauf herrscht reges
Treiben auf dem Wasser, denn Dutzende Sightseeing-Schiffe und
Kleinfahrzeuge tummeln sich im Gewühl um die Logenplätze vor dem
Kanzleramt. Gleich darauf haben wir den imposanten Berliner
Hauptbahnhof und den Reichstag vor der Linse. Der Versuch, eine der
heißbegehrten Kurz-Anlegestellen für Sportboote zu ergattern, schlägt
fehl, doch auch vom Achterdeck unserer Charteryacht ergeben sich
eindrucksvolle Fotoperspektiven. Während es mittlerweile Bindfäden
regnet, passieren wir den Bezirk Mitte mit der zum Weltkulturerbe der
UNESCO zählenden Museumsinsel und dem monumentalen Bode-Bau, um dann in
die rappelvolle Mühlendamm-Schleuse einzulaufen. Was nun folgt, ist im
Vergleich mit den Highlights von soeben geradezu langweilig.
Abgesehen von der prächtigen Oberbaumbrücke, welche die Stadtteile
Friedrichshain, Treptow und Neukölln miteinander verbindet, und der
skurril anmutenden, 30 Meter hohen Aluminium-Großskulptur „molecule
man" am Treptower Ufer hat die Spree in diesem Abschnitt kaum etwas
Interessantes zu bieten. Schöner wird's erst, sobald die in Grünanlagen
eingebetteten Häuser von Köpenick in Sichtweite kommen. Wir
beschließen, das Wassersportzentrum Berlin am Müggelseedamm anzulaufen,
obendrein ist es längst Zeit fürs Abendessen. Bedauerlicherweise hat
das Hafenlokal schon geschlossen, so dass unser Smut seine Talente
unter Beweis stellen muss. Und siehe da: Wir haben wirklich Leckeres im
Kühlregal. Wie von Meisterkoch Harry de Schepper und dem Kollegen
Klaus Schneiders angeregt, wird das in Skipper 6/07 beschriebene
Bordgericht zubereitet, und die Entenbrust mit Fenchel, Man-go und
Honig schmeckt prima...
Schleusen zum Selbstbedienen
Die pittoreske Schleuse von Wendisch Rietz könnte sich auch in Schweden befinden
Die
dritte Tagesetappe führt in aller Herrgottsfrühe über den Großen
Müggelsee, dessen Fahrwasser in die beschauliche Müggelspree einmündet.
In deren Verlauf treffen wir auf eine winzige knallrote Personenfähre
und staunen über die Kanalsiedlung „Klein Venedig" mit etlichen
pittoresken Wassergrundstücken. Der Gosener Kanal schafft die
Verbindung zwischen dem Dämeritzsee und dem Schmöckwitzer Seddinsee.
Die hier beginnende, seit 350 Jahren schiffbare Dahme-Wasserstraße geht
in den Zeuthener See über. Am Westufer reihen sich mehrere schön
gelegene Gasthäfen auf wie Perlen an der Kette. Schier endlose Wälder
im Hinterland bilden ein grandioses Panorama, und unberührte
Feuchtbiotope schaffen den idealen Lebensraum für zahllose Insekten-
und Vogelarten. Vor allem die mausgrau gefiederten Fischreiher sind
buchstäblich an jeder Ecke anzutreffen. In der Ortschaft Königs
Wusterhausen gilt es, zügig durchzuschleusen in die Staabe, um über den
Krüpelsee und eine Verengung namens Bindower Fließ im Zickzack-Kurs in
den Dolgensee und danach in den Langer See zu gelangen. Dann laufen
wir durch den drei Kilometer breiten Wolziger See, aus dem der
Storkower Kanal hervorgeht. Bei Kummersdorf und Storkow, einer der
ältesten Siedlungen in der Mark Brandenburg, sind zwei kleine Schleusen
und eine hölzerne Klappbrücke zu passieren. Gleich darauf nehmen wir
den Storkower See und wenige Minuten später den von schilfgesäumten
Ufern flankierten zweiten Dolgensee unter den Kiel. Höllisch aufpassen
sollte man im nur zehn Meter breiten Zubringerkanal bei Wendisch Rietz.
Die Fahrrinne ist dermaßen beengt, dass eine Begegnung mit ähnlich
großen Yachten wie unserer 38-Fuß-Gruno zur unfreiwilligen Mutprobe
avancieren könnte. Kurz vor Toresschluss, genauer gesagt um 19.55 Uhr,
meistern wir die letzte Hürde, und zwar jene in Form der für
Selbstbediener konzipierten Schleuse Wendisch Rietz. Deren
Bilderbuch-Optik weckt Erinnerungen an ein typisches Schleusenszenario
im südlichen Schweden. Endlich auf dem Scharmützelsee, laufen wir bei
einsetzender Dämmerung schnurstracks gen Norden. Eine gute Stunde
später ist das zehn Kilometer entfernte Bad Saarow erreicht - im
blitzsauberen Gasthafen „Freilichtbühne" quetschen wir uns dank
Bug-und Heckstrahlruderunterstützung ganz souverän in die einzige freie
Box.
Rückzug
Klappbrücke bei Berlin
Zu
„Ost-Zeiten" galt Bad Saarow als „Bad der Werktätigen", und dies,
obwohl der von der Sowjetarmee besetzte Ortskern jahrzehntelang für die
Einheimischen Tabuzone war. Heutzutage beruft sich die regionale
Tourismuszentrale lieber auf die glanzvollen 20er- und 30er-Jahre, denn
viele Prominente, darunter die deutsche Box-Ikone Max Schmeling mit
Gattin Anny Ondra, bezogen hier ihre Villen. Nach dem Ende der DDR
entstanden moderne Kur- und Wellness-Anlagen, Hotels und Golfclubs.
Eine hafennahe Bäckerei, in der sich der durchreisende Skipper mit
frischen Brötchen versorgen kann, sucht man aber vergeblich. So
frühstücken wir trotz der deftigen Breakfast-Preise im Hotel Esplanade,
um nach einem auflockernden Fußmarsch die Vorbereitungen zum Ablegen
zu treffen. Bis zum Seddinsee verläuft die gut siebenstündige Rückfahrt
in umgekehrter Richtung ohne nennenswerte Vorkommnisse und daher
absolut entspannt. Bei Schmöckwitz biegen wir über Backbordbug in die
Dahme ein, umkurven die Inselchen Kleiner und Großer Rohrwall und
genießen die wunderbare Idylle des Langer Sees. Hinter der
Regattastrecke Grünau wird das von Laubwäldern umgebene Gewässer wieder
zur Dahme, die wir bis zum Köpenicker Schloss mit gemächlichen fünf
Knoten hinauflaufen. Obwohl man hier an beiden Uferseiten mehrere
Gasthäfen zur Auswahl hat, wollen wir keine Experimente machen und
favorisieren wiederum die Anlegestelle an der Müggelspree im
Wassersportzentrum Berlin. Am Morgen reihen wir uns in eine
regelrechte Armada von Charteryachten ein, die, wie bei einer spontan
anberaumten Sternfahrt, Kurs auf die Berliner Innenstadt mit den vorab
beschriebenen Sehenswürdigkeiten nimmt. Nochmals geht es am
Regierungssitz vorbei bis nach Spandau, und von dort in südlicher
Route über die Havel. Je näher wir dem Großen Wannsee kommen, desto
mehr Segeljollen kreuzen einigermaßen planlos umher. Ein
Motorbootskipper muss in einer solchen Situation Ruhe bewahren, sehr
umsichtig agieren und auch für Leute Verständnis zeigen, die scheinbar
Spaß daran haben, andere Wassersportler zu ärgern. Auf kontrolliertem
Slalomkurs durchqueren wir den Großen Wannsee, wo offenbar eine
merkwürdige Regatta stattfindet. Dann heißt es, die Einfahrt in den
Kleinen Wannsee zu finden und über den Stölpchensee, Griebnitzer Kanal
und Griebnitzsee hart nach Backbord in die Glienicker Lake und den
Tiefen See einzubiegen.
Schlussetappe
Wassersportzentrum Berlin am Müggelseedamm
Bis
zum endgültigen Reiseziel Töplitz liegen die letzten fünfzehn
nautischen Meilen vor uns. Die verbleibende Zeit wird schon einmal
genutzt, um das von Yacht Charter Heinzig zur Verfügung gestellte, sehr
gute Kartenmaterial auf Vollständigkeit zu überprüfen, alle
Aufzeichnungen für diesen Artikel in eine logische Reihenfolge zu
bringen und jene persönlichen Dinge einzupacken, die man während der
vergangenen Tage ohnehin nicht gebrauchen konnte. Damit kurz vor Schluß
keine Langeweile aufkommt, signalisiert uns ein auf dem Schwielowsee
dümpelndes Einsatzboot der Potsdamer Wasserschutzpolizei, dass jetzt
tatsächlich noch eine Routinekontrolle ansteht. Nachdem wir in
strömendem Regen die Fender ausgebracht haben, kommen die Herren
Beamten längsseits und begnügen sich damit, einen schnellen Blick auf
die Bootspapiere und unsere Fahrerlaubnis zu werfen. Im Yachthafen
Ringel werden wir bereits erwartet, die obligatorische
Rückgabeprozedur unseres tollen Leihbootes geht völlig reibungslos und
in betont freundlicher Atmosphäre vonstatten. Abschließend ein Hinweis
in eigener Sache: Während des facettenreichen Törns in und um Berlin
mit 43 Stunden reiner Fahrtzeit nahmen wir die Gruno 38 Royal von A bis
Z unter die Lupe. Der detaillierte Testbericht wird, dies an dieser
Stelle als Vorab-Information, in einer der folgenden Skipper-Ausgaben
veröffentlicht.
Skipper-Infos
Das
beschriebene Revier zwischen Töplitz und Potsdam, dem Berliner Umland
bis hin zum Scharmützelsee, der von Theodor Fontane passender Weise als
"Märkisches Meer" bezeichnet wurde, erweist sich als ideales
Fahrtgebiet für den Tourenskipper. Diverse Charteryacht-Anbieter haben
gut geeignete, zumeist komplett ausgestattete Schiffe im Programm, die
auf einigen Streckenabschnitten auch mit dem sogenannten
„Charterschein" pilotiert werden dürfen. Es ist jedoch empfehlenswert,
dass zumindest ein Crewmitglied den amtlichen Sportbootführerschein
„Binnen" besitzt.
Unser Charterboot lieferte die Firma Yacht Charter Heinzig, Ringstr. 31, 26689 Apen, Tel.: 04489-6500.
Ausführliche Informationen erhalten Sie auf dieser Website.
Rechtzeitig vor einem Berlin/Brandenburg-Törn sollte man genaue
Erkundigungen über die geplante Reiseroute einholen. Entsprechende
Revierführer, die z.B. auch über Kurz-Anlegestellen, Gasthäfen,
Schleusen, Bunkermöglichkeiten und Geschwindigkeitsbeschränkungen
Auskunft geben, sind im Buchhandel erhältlich. Das absolut
unerlässliche Kartenmaterial wird im Regelfall von der jeweiligen
Charterfirma zur Verfügung gestellt.
Quelle: Skipper 09/2007
Text und Fotos: Peter Marienfeld